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Ausstellung danach / Ausstellung davor

3.9. bis 15.10.2002
Thomas Rusch
icon

Die Fotografie, sagt man, kennt nur die Oberfläche, und die Oberfläche, das ist die Haut. Die Haut, die das Tattoo markiert und gliedert - wie eine Maske, die alles verfremdet, was das gewohnte Antlitz, der erwartete, der vorraussehbare Anblick des Menschen ist, die Zeichen setzt, die uns aufklären und verwischen in einem.
Ich kenne den Fotografen Thomas Rusch nicht; ich kenne ihn nur durch seine Bilder - aus dem 'Stern', aus 'Max' und dem 'Spiegel'. Bilder, auch das sagt man, die etwas wert sind, eröffnen uns einen neuen Blick auf die Welt - und das wäre: die Tiefe in der Oberfächlichkeit. Ich weiß so gut wie nichts über Thomas Rusch - außer dass ich einige seiner Bilder kenne. Und also weiß ich viel. Mehr als ihm lieb ist? Lieb sein kann? Kaum. Aber ich weiß, weil ich es aus seinen Fotografien herauslese, dass Rusch eine katholische Jugend ... hinter sich hat. Und, so schrieb er mir, 'die katholische Erziehung' hat einen 'bleibenden Eindruck' bei ihm hinterlassen: 'dass die Sünde aufregend ist.' Wir sind wieder bei der Oberfläche, der Haut. Die Liebe, so hat es Casanova definiert, ganz Kind einer frivolen Aufklärung und Verweltlichung, sei die 'Berührung und der Austausch von zweierlei Haut'. Das ist schön und wahr, gräßlich und nüchtern zugleich. Rusch, der weiß, dass die Sünde aufregend ist, versteht, wie seine 'Icon'-Bilder belegen, ungeheuer viel von Haut. Er versteckt sie hinter 'Stein' und befreit sie in einem Bad von Schaumperlen. Er weiß, dass der Haut die Dunkelheit schmeichelt und dass das Licht - auch das sozusagen 'unnatürliche' Licht der Scheinwerfer und der Inszenierung - sie aus der Dunkelheit befreit. Rusch verbirgt die Haut ('Glas') hinter milchilgem Glas: er weiß, dass Neugier auf das, was man sehen will, noch aufregender (soll man sagen 'sündiger'?) ist, als das, was man sieht. Er schlingt gordische Knoten aus Leibern, so als wollte er gleichzeitig ein cooles Bacchanal darstellen und die Verrenkungen einer 'Laokoon'- Gruppe. Er weiß viel von den Verrenkungen zwischen Verhüllen und Enthüllen. Rusch weiß, dass ein guter Fotograf mit seinen Bildern auch einen Striptease veranstaltet. Und dass er - für mich das schönste Beispiel - in 'haleluia' auf beherrschte, gleichsam gefrorene Weise, Ekstase offenbart - Ekstase als gefrorene Oberfläche.
Ist Rusch ein Reporter? Er ist es wie jeder gute Fotograf. Aber die arrangierten Bilder, kunstvolle Inszenierungen der Oberfläche sind sozusagen Reportagen aus unserer unbewußten Tiefen - dort, wo unsere Sinnlichkeit mit dem Zeitgeschmack, mit der Zeitströmung kollidiert. Zitieren wir noch einmal den Fotografen: 'Schon im zarten Alter war Thomas vom Fotoapparat fasziniert und auch von der Möglichkeit, seine Schüchternheit dahinter zu verbergen. Als er sehr früh bemerkte, wie gerne junge Mädchen sich fotografieren lassen, ja sich sogar dafür ausziehen, auch wenn sie behaupten, unfotogen zu sein, entwickelte sich das Fotografieren zu einer Leidenschaft.'
Ausziehen, die Haut zum Markt zu tragen, zu zeigen, welche Tiefe (Sehnsucht?) sich in der Oberfäche offenbart - das ist das Geheimnis dieser Bilder. Es ist das Licht der Fotografie, die unsere Oberflächen verbirgt und enthüllt wie ein Foto-Tattoo.

Hellmuth Karasek, 2002

Ausstellungsdauer: 3.9. bis 15.10.2002

· Website Thomas Rusch




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